
„Dazu sind Sie herzlich Willkommen!“ sagt Detlef Heusinger mit einer einladenden Geste auf die Frage, ob wir uns seinen in der Vergangenheit präparierten Steinway-Flügel genauer angucken dürfen. Er hat an seinem Stück „4 Crossroads“ ganze fünf Jahre gearbeitet, genauer gesagt von 2017 bis 2022. In seinem Proben haben alle Beteiligten sofort gemerkt, das dies ein besonderer Musikmoment ist, denn man merkt die Spannung im Raum. Selbst die zehn Minuten vorher entspannten Klangregisseure sind in dieser Probe zu 100% fokussiert und wirken teilweise sogar aufgeregt. Lang erklärt, dass sein Stück den Klang der Zeit, genauer gesagt die E-Musik-Szene in Berlin abbilden soll. Man hört selbst kleinste Geräusche heraus, welche elektronische Alltagsgegenstände wie z.B. eine elektrische Zahnbürste sein könnten.
Aufregend war auch der Anfang von Heusingers Musiklaufbahn. Diese beginnt 1956 in Frankfurt am Main, als er das Licht der Welt erblickte. Das musikalische Licht entdeckte er in seinen Studium an den Musikhochschulen Bremen, Köln und Freiburg. Ein weiterer wichtiger Meilenstein für ihn ist die Leitung des Experimentalstudio des SWR im Oktober 2006, wo er die Leitung von André Richard übernahm.
Das interessanteste Instrument in „4 Crossroads“ ist wahrscheinlich das Theremin. Es ist das erste erfundene elektrische Musikinstrument und das einzige, was berührungslos gespielt werden kann. In der Probe hört man so einen sehr verzerrten Sound, welcher eine gewisse Eigendynamik in das Stück bringt. Man fokussiert sich teilweise auf das Theremin und die anderen, eigentlich lauteren Instrumente rücken in den Hintergrund. Heusinger wählt es „speziell für die E-Musik“ aus. Zudem sieht man in der Probe auch noch eine E-Bass und einen Synthesizer. Dies ist jedoch kein gewöhnlicher Synthesizer, denn hier werden verschiedene Geräusche gesampelt, zu neudeutsch gespeichert. Somit kann man mehrere Geräusche in die Probe mit einfließen lassen, obwohl die Umgebung dies normalerweise gar nicht zulässt. Diese Technik von Geräuschspeicherung wurde von ihm schon in acht Ländern angewendet. In der Probe merkt man zudem, wie wichtig klare, deutliche Kommunikation und Kritik für Heusinger sind. Es gibt zwischen ihm, dem E-Gitarristen und der Technik Missverständnisse, welche aber nach guter Kommunikation gelöst werden. Die Technik, für alle Nerds, besteht aus einem 8-Kanal Set-Up, welche für eine sehr spezielle 3D-Musikwahrnehmung sorgt.
Schon vor der erweiterten Uraufführung und sogar vor der angesprochenen Generalprobe sind alle Beteiligten höchst konzentriert und führen die wichtigsten letzten Vorbereitungen durch. Dazu zählt, dass der E-Gitarrist Jürgen Ruck kurz vorher seine Fingernägel feilt.
Oder die Sopranistin Gan-ya Ben-gur Akselrod, die mit ihrer Stimmgabel einen Bezugspunkt für den definierten Ton erzeugt. Sie stimmt damit witzigerweise ihre Stimme. Der letzte der, vor der Generalprobe noch ein kleines Ritual ausführen will, ist der Thereminspieler Thorwald Jørgensen. Bei ihm können wir spezielle Fingerübungen beobachten, welche wahrscheinlich die Fingermobilität erhöhen sollen. Das Stück beginnt sehr langsam mit großen, schwungvollen Bewegungen von Detlef Heusinger, der sein Stück selbst dirigiert. Man bekommt den Eindruck, sein Musikstück baut sich mit jedem Ton weiter auf. Der erste überraschende Effekt ist das Echo von der E-Gitarre, welches durch die Lautsprecher gespielt wird. Aber auch die hohen Töne des Cellos sind beeindruckend und erinnern an eine Vogelpfeife.
Damm, Damm! Auf einmal nimmt die Musik an Fahrt auf, und das ohne leichtem Übergang. Es gibt einen starken Bruch in der Musik, aber auch mit den Erwartungen der Zuschauer*innen. Man bekommt das Gefühl: „Der Zirkus ist mit tosenden Posaunen in der Stadt angekommen“. Doch innerhalb von fünf Minuten kommt die Musik wieder in ruhige Gewässer, und jetzt sticht vor allem das Theremin heraus. Thorwald Jørgensen hat zuvor die Anweisung bekommen, „more crazy“ zu spielen, das hört man jetzt gut. Nun rückt Gan-ya Ben-gur Akselrod auf der Empore in den Vordergrund. Sie steht ganz oben im Raum und kommt langsam eine Wendeltreppe herunter. Somit wird die räumliche Dimension erweitert.
Währenddessen liest sie vereinzelt Worte vor, welche stark an Phantasiewörter aus dem Tolkien-Universum erinnern. Sie wirken so mächtig, dass man in seinen Stuhl hineingedrückt wird. Als die Sopranistin unten angekommen ist, kommt es zum zweiten Höhepunkt und die Musik bewegt sich wieder schneller. Zudem fängt sie nun an, in höchsten Tonlagen zu singen. Jedoch zerbrechen keine Glasscheiben, stattdessen wirkt es nun ein wenig traurig. Dies wird dadurch verstärkt, dass nur noch die E-Gitarre als Duett mit der Sopranisten spielt. Dann erklingt ein Akkord und die anderen Instrumente schließen sich den beiden auf einer Welle von Noten an. Im letzten Abschnitt des Stückes fließen die Töne ohne verzerrte Thereminunterbrechungen. Und durch den langen Ton von Akselrod steigt ebenfalls die Spannung. Alles wird schneller und wuseliger und spitzt sich im absolutem Höhepunkt zu. Dieser Höhepunkt hält nicht lange an, sondern wird durch den drastischen Abfall der Musik abgelöst.
Fertig, es kommt zur kurzzeitigen Stille und wenn jetzt jemand gedacht hat, dass sich das Ensemble anlächelt, falsch gedacht. Es wird direkt diskutiert, wo man noch besser zusammenspielen kann. Das ist sehr bemerkenswert und zeigt, wie sehr alle Beteiligten Perfektion erreichen wollen. Jetzt folgt ebenso ein starker Bruch, denn es gibt nichts mehr zu sagen. Das einzige, was noch offen bleibt ist, wie ihnen das Stück gefällt, deshalb kann ich nur empfehlen, sich selber das Stück „ 4 Crossroads“ anzuhören.