„Oui, je parle français“, antwortet Emre Dündar auf meine englische Frage, ob er Französisch spreche. Aber nicht nur Englisch und Französisch, sondern auch Türkisch gehören zu den Sprachen, die der Komponist beherrscht. Und diese Affinität für Sprachen wird in den Werken, die Emre Dündar komponiert, immer wieder deutlich. Etwa ‚Parergon‘, geschrieben für Bassklarinette und Gesang, das Emre Dündar und sein Kollege Theo Nabicht ein paar Tage vor Beginn des Ultraschall Festivals in einer Werkshalle in Lichtenberg proben. KMK, Emre Dündar und Theo Nabicht werden in den nächsten Wochen und Monaten noch mehrere Projekte zusammen spielen, Ultraschall Berlin ist ein erster Anfang.
Es ist aufgrund der aktuellen Corona-Situation die einzige Probe, die wir als UltraschallReporterInnen live besuchen können, deswegen bin ich besonders dankbar, als ich de fertig aufgebauten Raum sehe. Die über zwei Meter große Kontrabassklarinette steht in ihrem Ständer, auf einem Tisch liegen ein Mac-Book, ein Mischpult und unglaublich viele Kabel, und auch zwei Lautsprecher warten auf ihren Einsatz. „Emre, das Sample war vorhin ein bisschen zu laut“, sagt Theo Nabicht noch, bevor die beiden zu proben beginnen und neue Musik die weiße Werkshalle ‚Garage 51‘ erfüllt. Summende Klänge, jammernden Gesang und Laute, die wie Fetzen einer orientalischen Sprache klingen, performt Emre Dündar. Dazu kommen die ungewöhnlichen Klänge, die Theo Nabicht seiner Bassklarinette entlockt. Mit und ohne Mundstück wird geblasen und geklappert. So verschmelzen die beiden Livemusiker mit dem laufenden Sample, das weitere Aufnahmen von Emre Dündars Stimme abspielt. Ich bin die einzige der Reporterinnen, die diesen erstaunlichen Klang live miterleben kann. Die anderen sind über Zoom dazugeschaltet, aber natürlich ist die Tonübertragung dabei nicht überragend.
Stimme und Sprache spielen nicht nur in diesem Werk von Emre Dündar eine große Rolle. In unserem anschließenden Gespräch, das wir auf Englisch führen, weil Emre Dündar kein Deutsch spricht, erzählt er von der Bedeutung von Sprache für sich und seine Stücke. Immer, wenn er Menschen sprechen höre, versuche er, ihre Sprachmelodie zu erfassen und aufzuschreiben. Denn natürlich haben jede Sprache, jeder Mensch und jede Stimmungslage eine besondere Melodie und einen besonderen Kang, die sich in der Musik wiederfinden sollen. Dieses Interesse für verschiedene Sprachen kommt, laut Emre Dündar selber, aus seiner Jugend in Istanbul. Dort habe er viele Jahre lang umgeben von vielen Menschen und Sprachen gelebt und so ein Gespür dafür entwickelt.
Tatsächlich hat mein erster Höreindruck mich nicht getäuscht, und auch in „Parergon“ hat Emre Dündar einen türkischen Dialekt verarbeitet. Hinzu kommen Elemente aus verschiedenen kaukasischen Sprachen. Mit diesen Sprachen hat sich Emre Dündar ausführlich beschäftigt und erklärt uns, dass es bei den kaukasischen Sprachen mehrere gebe, die nur noch vereinzelte Sprecherinnen oder Sprecher beherrschen. Diese Sprachen sind also wie seltene Tierarten, vom Aussterben bedroht. Von aussterbenden Sprachen handelt auch das Stück, das wir eben in der Probe gehört haben. Die Herrin der kaukasischen Sprachen wird von Emre Dündar besungen und beweint. Mit ihrem Tod wird der Tod verschiedener Sprachen symbolisiert. Ergänzt werden die Sprachsequenzen durch Theo Nabicht an der Kontrabassklarinette. Auch er spreche eine Form der Sprache mit seinem Instrument, zwar keine menschliche, aber eine Sprache allemal. Voller Überzeugung erklärt der Klarinettist uns, dass es das 10-minütige Stück ohne Noten spiele. Er lerne seine Stimme, seine Sprache, „by heart“ und orientiere sich dabei am laufenden Sample.
Über all das sprach Emre Dündar mit uns in einem sehr flüssigen Englisch, und trotzdem konnte ich mir die Frage nicht verkneifen: „Do you speak French?“ Et oui, Emre Dündar spricht Französisch und kann es auch ganz klar vom Türkischen abgrenzen. Während Französisch eine weiche Sprache sei, sagt Emre Dündar zum Türkischen „ça frappe“, das schlägt, und schlägt mit seiner Faust in die Luft. In seinem Stück „Parergon“ kommen hin und wieder harte türkische Konsonanten aufeinander. Auch sie zischen durch die Luft wie Emre Dündars geballte Faust.