Wir sind eingeladen, die Komponistin Sarah Nemtsov, den Pianisten Christoph Grund und den Regisseur Anton von Heiseler bei der Arbeit für ihr Konzert bei Ultraschall Berlin zu besuchen. Wir, das sind eine Hand voll Schüler, die sich für den Workshop angemeldet haben. In den nächsten Wochen werden wir als UltraschallReporter Konzerte und Proben besuchen, Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern führen, und das alles im Rahmen des jährlichen Ultraschall-Festivals. Heute probieren wir das schon einmal aus, mit der Journalistin Julia Kaiser.
Wir betreten Christoph Grunds Studio, eine Erdgeschosswohnung in einem typischen Berliner Altbau, die mit den hohen Decken. Plötzlich hat sich das Wohnzimmer, in dem viele Instrumente und ein Flügel stehen, mit Menschen gefüllt. Die Kinder der Komponistin sitzen neben uns, es ist eine beinahe familiäre Atmosphäre.
Das Werk, das Sarah Nemtsov geschrieben hat, ist als Filmmusik für einen Dokumentarfilm entstanden, der in der Zusammenarbeit von Shmuel Hoffmann und Anton von Heiseler entstanden ist, „Mountain & Maiden“. Inhaltlich dreht es sich um ein indisches Mädchen, das auf einem Müllberg am Rand von Delhi lebt.
Anton von Heiseler erzählt viel über die Dreharbeiten zu diesem Film; stellt sich selbst die Frage, ob es möglich ist, so einen Film authentisch zu drehen und ob man es überhaupt darf. Darauf wird der Film angemacht und Christoph Grund beginnt zu spielen.
Vögel fliegen, die Sonne geht auf: früher Morgen in einer Welt, die von uns so fern zu sein scheint wie der Mars. Einiges erkennt man wieder, Pflanzen, Flaschen, Wolken. Dennoch kommt es einem fremd vor. Das Bild der Idylle stimmt nicht. Und schon gar nicht der Rauch. Der Müllberg brennt. Das gleiche Geräusch wie bei Feuer im Kamin; der Zynismus so beißend wie der Rauch.
Der Berg ist riesig. So riesig, dass es praktisch ein eigenes Ökosystem ist. Auch Tiere dokumentiert der Film: abgemagerte Kühe, die eher aussehen wie laufende Skelette. Ihre Bewegungen sind träge. Ein paar Minuten später eine Szene, in der eine tote Kuh neben spärlichem Kraut liegt. Ich erinnere mich dunkel, dass Kühe in Indien heilig sind. Aber auf Müllbergen ist wohl nichts heilig.
Dann eine unheimlich bedrückende Szene: Die Kamera geht ganz nah an den Müll heran, das Chaos wird erfahrbar. Der Musik steigert sich zu einem Sog. War sie vorher eine Art Illustration dieser fremden Welt und besetzte sie mit bekannten Klängen, so wird sie nun zur vertonten Frage. Der Müllberg ächzt, stöhnt, lärmt, singt, klingt, tönt, brennt, raucht. Er scheint zu fragen, was wir ihm entgegen zu setzen haben. Und mitten zwischen den lärmenden Getrieben der Müllautos und dem Müll: ein kleines indisches Mädchen.