Welch ein Anblick! So geblendet wie es die Musiker des Deutschen Rundfunk Orchesters von den vielen Scheinwerfern sind, bin auch ich schlichtweg überwältigt von den vielen Eindrücken, die auf mich zufliegen. Ich betrete einen mit Zedernholz verkleideten Pierre Boulez Saal, dessen Architektur allein schon zu schwingen scheint. Die Logen verlaufen wellenförmig in einer Ellypse um die Bühne. Dann fallen mir auch sonderbare Glasscheiben auf, die an der Unterseite der ersten Loge senkrecht befestigt sind. All diese Details sollen dem Raum eine erstklassige Akustik verschaffen, die es mit dem Konzertsaal der Philharmonie aufnehmen kann, sagt man mir. Ich bin sehr gespannt, denn ich blicke von oben auf das Rundfunk Sinfonieorchester Berlin hinab, welches gerade so eben auf der verhältnismäßig kleinen Bühne Platz gefunden hat. Vier der skurrilsten Schlagwerke umrahmen die Streich- und Blasinstrumente. Ich weiß nicht, was auf mich zukommen wird, weiß nicht einmal, welche Klangwelten mich gleich erwarten. Doch nachdem alle Lichtverhältnisse und der Blickkontakt zum Dirigenten Enno Poppe stimmen, gibt er nun endlich den Einsatz. Ein einziger Ton erklingt, erzeugt von einer einzigen Glocke. Daraus erwächst nun ein leiser Klangteppich der Streicher. Es scheint, als ob die Schlagwerke einen Impuls eröffnen, der von den Streichern weiter getragen wird. Doch dann verschiebt sich die „Rollenverteilung“! Nun ergreifen die Streicher den Impulsstart, einmal sogar der Flügel! In diesem Werk begegnen mir eine Vielzahl von Arten, Klänge entstehen zu lassen: Kleine rhythmische Phrasen werden durch das ganze Orchester weiter gereicht und dabei auf jedem Instrument anders erklingen. Mir begegnen lautstark trällernde Trompeten, Bleche, auf denen Alufolie liegt, sodass sie beim Anschlagen ein hell silbernes Rauschen erzeugen. Klangschalen liegen auf Pauken und werden mit dem Bogen gespielt. Ein Gong,a auf dem gekratzt wird. Metallspiralen schwingen. Snare drums werden an schwingende Bleche gehalten, bis sie selbst diese Schwingung übernehmen. Zwei Klarinetten spielen zwei nur minimal auseinander liegende Töne, die wiederum neue Schwingungen erzeugen.
Ich bin fastiniert von dem Einfallsreichtum und der Vielzahl an Wegen, Klänge zu erzeugen. Auch Rebecca Saunders scheint nach wenigen Verbesserungswünschen zufrieden mit der Umsetzung ihres Werkes im Pierre Boulez Saal und lobt das RSO für die perfekte Umsetzung.
Nach der Probe treffe ich mich mit Rebecca Saunders für ein kleines Gespräch im Foyer. Ich will als allererstes wissen, wie Sie mit einer so frühen klassisch musikalischen Erziehung den weg zur zeitgenössischen Musik so plötzlich gefunden hat.
„Ich bin nicht plötzlich dahin gelangt. Und ich finde nicht, dass man da unterscheiden kann und sollte. Ich hatte einfach immer viel mit Musik gemacht. Ich habe Ballett gemacht, ich habe Modern Dance gemacht, ich habe ganz viel Musik gespielt und war in allen möglichen Ensembles und Orchestern und es war einfach das Musizieren an sich egal, ob neu oder alt. Es ging nicht darum, dass ich neue Musik machen wollte, ich habe meine ganze Kindheit lang kleine Volkslieder, Poplieder, experimentelle Sachen komponiert: im Klavier, auf den Tasten, mit Flöten, mit allem Möglichen. Ich habe einfach musiziert ohne zu denken, ob das neu oder alt ist. Aber weil ich aus einer klassisch musikalischen Familie komme und weil ich an eine Musikschule ging, war das für mich immer selbstverständlich, dass, wenn man komponiert, dies aus dem Moment hervorgerufen wird. Das bedeutet natürlich, dass es neu ist. Ich habe mich nicht entschieden neue Musik zu schreiben. Wenn man komponiert, ist das neu, weil es jetzt ist. Ich hatte vorgestern eine Uraufführung meines Stückes für ein Streichquartett gehabt. Im Anschluss haben sie ein riesen Schubert Streichquartett gespielt. Wenn man ein neues uraufgeführtes Stück hört neben einem alten Canon des klassischen Repertoirs, dann sieht man, das gehört alles zu einem! Man braucht keine Klassifizierung. Es ist alles Musik.“
Haben Sie mit „Void“ speziell beim Pierre Boulez Saal nochmal anders denken müssen? Für Sie spielt Raum und Musik ja keine unwesentliche Rolle.
„Mit diesem Stück, in dieser Probe, in diesem Rahmen ist es eigentlich nicht möglich, mehr als die normalen kleinen Änderung und Korrekturen vorzunehmen. Natürlich mussten wir uns in diesem mehr kammermusikalischen Raum für ein Orchester-Konzert einige Gedanken über die Aufstellung des Orchesters machen. Aber eigentlich haben wir wenig Korrekturen bezüglich des Raumes gemacht, weil der Klang relativ dicht und der Raum klein ist. Und weil hier eine unfassbar schöne tragende Akustik ist, haben wir einige Tempi langsamer gemacht, damit die Musik mehr atmen kann und man diese Resonanzen wirklich genießen kann.“
Hat sich durch die Größe des Pierre Boulez Saales die Orchesteraufstellung geändert? War die kreisförmige Aufstellung der vier Schlagwerke um das Orchester gewollt?
„Durch die enge Aufstellung des Orchesters war es nicht möglich, einen großen Aufbau hinten in der Mitte zu haben. Eigentlich ist es gedacht, dass man ein Dreieck hat und zwei Schlagwerke solistisch vorne und eins hinten.“
Während des Stückes sind mir Dialoge zwischen den Instrumentengruppen aufgefallen. Das wäre mit der Dreiecksaufstellung dann ersichtlicher geworden?
„Auch. Das kommt in dem Stück immer wieder vor. Zum Beispiel entstehen Dialoge zwischen dem ersten Orchesterschlagzeug und dem ersten Soloschlagzeug, mithilfe der beiden Basstrommeln. Auch mit den Autofedern und dem Streichorchester wird so ein Dialog geschaffen. Es gibt mehrer Schichten, auf denen Dialoge stattfinden zwischen Solisten und Orchester.“
Mir kam es auch so vor als ob die Streicher hier häufig einen Klangteppich bilden.
„Es ist wirklich so, dass ich in diesem Stück ganz besonders viel damit spiele, dass der Klang auf verschiedene Weise immer in Bewegung ist. In räumlicher, aber auch in klangfarblicher Bewegung. Es gibt immer diese Übergänge von einem Klang durch die Instrumente, durch den Raum und auch einfach in der Substanz des Klanges. Und das hört man in diesem Raum sehr gut finde ich.”
Wie kamen Sie auf den Namen des Werkes, wenn doch hier die Musik immer zu hören ist und Übergänge stetig entstehen?
„Void ist eine Leere, die aber voll ist. Ein Void ist nichts, aber es existiert. Ein wunderschöner Widerspruch! Ein Void ist Abwesenheit. Ein Void ist zum Beispiel eine Wüste oder eine Fatamorgana. Ein Void ist eigentlich etwas, dass existiert, in dem, dass es es nicht gibt. Und das ist vielleicht etwas, dass in der Kunst eine ganz prägnante und wichtige philosophische Fragestellung ist: Wie nennt man etwas, das nicht da ist? Man skizziert die Abwesenheit von dem, was nicht mehr anwesend ist. Ein Hauch von etwas, das vergangen ist. Ein Klang klingt und dann vergeht er. Wo geht er denn hin? Er geht ins nichts, in diesen Void, in diesen Nachklang. Es verschwindet, ist aber immer noch da. Dieses Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit ist ganz wichtig in der Kunst und in der Musik insbesonders, denn es gibt immer ein Vergehen des Klangs. Void ist ein Zustand von nichts, aber dieses Nichts hat einen Namen und existiert.“
Verfolgen Sie mit Ihrer Musik ein Konzept? Oder anders, wie arbeiten Sie an Ihren Werken?
„Es gibt Klang. Ansonsten ist jedes Stück anders vorangetrieben. Der Impuls ist ganz unsterschiedlich. Manchmal bin ich mit einem Text so beschäftigt, dass dieser selbst als Impuls dient. Aber eigentlich geht es nie um eine Skizzierung von einer Idee. Es geht mir nicht darum, eine Idee zu kommunizieren. Es geht um den Klang selbt, eine akustische Landschaft zu schaffen, einen Zwischenmoment zu schaffen, einen Moment, in dem man anders denkt und fühlt. Es geht um das physikalische Erlebnis des Klanges.“
Als ob Sie mit der Musik malen…
„Es füht sich auch so an. Ich hätte es gerne, dass man auch das Malen mit Klang im Raum hört. Deswegen schreibe ich viele räumliche Stücke, weil das Malen mit dem Klang die Architektur nachahmt. Den Zuhörer darauf aufmerksam zu machen, dass der Klang sich im Raum bewegt, finde ich unglaublich spannend. Das Skizzieren vom Klang in den Raum im Laufe der Zeit ist schon ein starker Gedanke beim Komponieren.“