Ich, 18, Studentin, musikinteressiert, aber diesbezüglich vollkommen unwissend, gehe heute in eine Probe eines Ensembles, das „neue Musik“ spielt. Neue Musik? Noch nie davon gehört. Ich werde versuchen, mich auf diese Strömung der klassischen Musik einzulassen. Gunnhildur Einarsdóttir kennt sich in diesem Bereich aus. Sie ist die Harfenistin des „Ensembles Adapter“, das sich auf neue Musik fokussiert.
Gunnhildur erklärt, neue Musik sei eine sehr experimentelle Ausdrucksform der klassischen Musik. Sie selbst war von ihrem eigentlichen Studium schnell gelangweilt. Dort ging sie den konventionellen Weg, das Spielen der Harfe zu erlernen. Erst gegen Ende ihres Studiums entdeckte sie die Möglichkeit, neue Spieltechniken auszuprobieren. Lächelnd greift sie in einen großen Kasten, er erinnert an eine Schatzkiste. Heraus zieht sie eine dünne Filmrolle und befestigt sie an einer Saite der Harfe. Sie schiebt die Rolle auf und ab und erzeugt dabei einen Ton, der mich schaudern lässt, so neuartig klingt er. Er könnte beinahe einem Horrorfilm entspringen. Ihr Gesicht nimmt einen Ausdruck an, den man nur bei Menschen beobachten kann, wenn sie uneingeschränkt für eine Sache brennen.
Ein in seiner Spielweise eigentlich schon festgelegtes Instrument neu interpretieren, das tun auch die anderen Mitglieder des Ensembles. Sie alle hatten, ohne von der Existenz der anderen zu wissen, das gleiche Faible für das Neue, das Andersartige, sagt Gunnhildur. Kennengelernt haben sie sich während ihres Studiums in den Niederlanden. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, erzählt die Harfenistin. Schnell begannen sie, gemeinsam Stücke zu spielen. Es fehlte nur noch ein Name für ihr Ensemble. „Wir wollten, dass man auf uns aufmerksam wird. Also haben wir uns informiert und rausgefunden, dass Wörter, die mit „A“ beginnen, psychologisch mit etwas Positivem verbunden werden.“ Sie suchten also nach schönen Wörtern mit A. Und „Adapter“ bot sich einfach an. Dieses Problem war also schon einmal geklärt.
Nun brauchten sie nur noch Komponisten für Stücke, die die vier Musikerinnen und Musiker in ihrer ungewöhnlichen Formation mit Harfe, Flöte, Klarinette und Schlagzeug spielen konnten. Sie erhalten Kompositionen von Freunden, Freunden von Freunden, jungen Komponisten, die neues ausprobieren wollen. Das Allerbeste an ihrem Beruf sei die Vielzahl an Menschen und Komponisten, die sie durch ihre Arbeit kennenlerne, sagt Gunnhildur und schaut dabei versonnen auf ihre Harfe. Sie ist kurz ganz woanders. In die Realität holen sie die Nachteile der Diversität der Komponisten: Einige hätten eine seltsame Vorstellung von der Umsetzung ihrer Ideen. Sie wünschen sich zum Beispiel, dass „aus Musikern Schauspieler werden“. Manchmal werde eine richtige Show von ihnen verlangt. „Die wollen dann, dass ich dramatisch von der einen Seite der Bühne zur anderen laufe und dabei einen wütenden Gesichtsausdruck habe. Das tue ich auch, aber nur, wenn dabei ein verrückter Ton entsteht. Nicht einfach so.“ Allerdings, so wirft sie ein, sei das ganze „Drumherum“ bis zu einem bestimmten Grad durchaus wichtig. Zum Beispiel der Gang von der Bühnenkante bis zum Instrument. Oder die Übergänge zwischen den einzelnen Stücken. „Da schauen ja auch alle schon auf dich“. Das gehöre durchaus zum Gesamtwerk. Alles ist durchgetaktet, vom Auftritt bis zum kleinsten Ton, den eine Haarklammer an der Harfensaite zaubert.
Wie kommt ihre Musik eigentlich an? Die Resonanz sei sehr unterschiedlich, sagt Gunnhildur. Oft hätten Menschen Angst vor neuer Musik, weil sie sie einfach noch nicht kennen. „Natürlich ist unsere Musik nicht immer schön. Manchmal ist sie sogar hässlich. Aber Ästhetik ist ja auch nicht die Aufgabe von Kunst“, erklärt sie. „Es geht darum, etwas zu vermitteln. Menschen gehen ja auch in Museen voll moderner Gemälde, warum haben sie dann Angst vor moderner Musik?“ – Gute Frage, über die ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht habe. Ich kann sie auch nach wie vor nicht beantworten, fest steht aber: Das Ensemble Adapter ist eine Gruppe, deren Auffassung von Kunst mich zutiefst beeindruckt hat. Es hat mich in meinem gefestigten Verständnis, wie klassische Musik zu sein hat, völlig überrumpelt. Aber ganz ehrlich, ich denke, darüber werden sie sich freuen…