„Ich baue ein Haus aus Zeitproportionen und Klängen und hoffe, dass die Musik einzieht.“ Mit diesen Worten charakterisiert Erhard Grosskopf die Kompositionsweise seines Stückes „Klangwerk“. Beim Schreiben, so sagt er im dem Konzert vorausgehenden Gespräch, spielen selbstgeschriebene Computerprogramme eine Rolle und viel Mathematik. Die Zahlen 3, 5, 9, 15 und 27 werden in verschiedenen Kombinationen erwähnt. Ich bezweifle, dass sich die Theorie hinter diesem Werk dem Publikum wirklich erschlossen hat, doch zum Nachdenken bringt es auf jeden Fall. Es erweckt den Eindruck kompletter Durchstrukturiertheit und scheint keine große Deckungsfläche mit den blumigen Worten zu haben, mit denen Grosskopf seine Musik zuvor beschrieb. „Ein Haus, in das die Musik einzieht“, doch wenn man jeden noch so kleinen Ton durchplant, ist dann überhaupt Platz für die Musik?
Wenig später im Konzert wird diese Frage irrelevant, allein schon weil die Musik zu fesselnd ist um überhaupt noch über diese Fragen nachzudenken. Mein Plan war eigentlich, mir Notizen zu machen, das Werk genauestens wahrzunehmen und vielleicht die genannten mathematischen Verfahren wiederzuerkennen. Am Ende tat ich nichts davon, sondern ließ mich einfach von der Musik treiben. Es war kein Haus, oder es fühlte sich zumindest nicht wie eines an. Aber es war auch kein durchstrukturiertes Raster, das allem bis ins kleinste Detail Fesseln anlegte. Sowohl für das eine als auch für das andere fehlten die Grenzen. Es gab kein Oben und kein Unten, kein Vorne und kein Hinten. Auf mich wirkte es einfach wie Raum. Ein großer leerer Raum, in dem geometrische Formen erschienen und wieder versanken, in dem Klänge immer wieder an- und abschwollen. Eine weite Leere aus Klang, in dem Paukenschläge und wenige Solostellen des Klaviers die einzigen abrupten Bewegungen waren. Es war unaufgeregt, aber nicht langsam und schien die Zuschauer in eine Art Trance zu versetzen. Nach den wenigen Minuten, die es brauchte, sich in den klirrenden, zerbrechlichen Klang einzuhören, die vor allem von den hohen Bläsern erzeugt wurden, ließen einen die Momente, in denen es keine Reibungen gab, suchend zurück, der Klang wirkte unvollständig. So sehr hatte das Stück einen in seinen Bann gezogen.
Den Aufbau betreffend war der Name Programm. „Klangwerk“, eben ein Werk aus vielen zusammengesetzten Klängen. Wenn man es so sehen will, sich in den Einzelteilen ähnelnd, aber als großes Ganzes eben nicht dasselbe. Natürlich herrschte eine Gleichmäßigkeit und Beständigkeit vor, anders könnte die Weite dieses Stückes auch nicht erzeugt werden, aber je länger man lauschte, desto größer wurde auch das Bewusstsein für einzelne Nuancen. Auf einmal schien nur eine geringe Dynamiksteigerung enorm und es lagen Welten dazwischen, ob nun die Querflöten oder Klarinetten die liegenden Töne spielten, die die Grundlage dieses Klangteppichs bildeten.
Das Ende kam nach 33 Minuten, die genauso gut 10 oder 60 Minuten hätten sein können und war in Retroperspektive das einzig passende. „Klangwerk 11“ hört einfach auf. Ohne letztes Aufbäumen, ohne langsames „Fade out“. Die Musiker erzeugten keine Töne mehr. Man selbst musste nun gucken, dass man aufwachte und langsam wieder in dieser Welt ankam. Ich weiß nicht, ob es dieses fast metaphysisch anmutende Konstrukt war, von dem Grosskopf sprach, als er sagte, er würde darauf warten, dass die Musik in sein Haus einzieht, aber etwas an diesem Stück hat mich gefesselt und dazu gebracht, mich in diesem Klangwerk zu verlieren.
Julia A. meint
Lieber Ultraschall Reporter Lea Kolesnyk.
Danke für das Finden dieser wunderbaren Worte, die mich im Geist den Abend hören lassen, an dem ich leider verhindert war, vor Ort sein zu können. Ich kenne einige Stücke von Grosskopf und habe selten eine treffendere Beschreibung als diese gelesen. Danke nochmal