Die Uraufführung von „Overture“, ein Stück von Allan Gravgaard Madsen, das den Hörer mitnahm in die schroffen Weiten des Skandinavischen Nordens bildete den Auftakt für eine 60-minütige Reise des „ensemble recherche“ in eine wundersame Welt.
Während die Klänge sich langsam zu großen Landschaftsbildern vereinten, saß ich am äußersten Ende des großen Saales im Radialsystem und durfte dabei zusehen, wie die Techniker Licht und Mikrofone steuerten. Immer wieder beeindruckt mich die Fülle der Knöpfe, die diese Männer kennen müssen und bis heute glaube ich nicht daran, dass jeder der Schieberegler eine Bedeutung hat. Trotzdem waren die Einblicke, die ich hinter die Mischpulte bekam, unglaublich spannend. Hier werden Ton, Videozuspiele und Licht koordiniert, erklärte mir der Cheftechniker Jörg Bittner. Was ich am coolsten fand: Einige der Regler bewegten sich einfach von selber und dann klang das, was sich unten sowieso schon toll anhörte, noch besser. Eine tolle Erfahrung.
Auf diese Ouvertüre folgte „Jag lyfter mina händer“. Eine Komposition von Karin Rehnquist für Gesang und Klarinette, die mit folkloristischen Gesangstechniken aus Skandinavien arbeitete und mich an meine Norwegenreise erinnerte, die ich vor eineinhalb Jahren gemacht habe. Damals bin ich mit zwei Freunden von Oslo nach Trondheim gepilgert. Während der ruhige Klang der Stimme sich mit den gleitenden Klängen der Klarinette verband, sah ich vor meinem inneren Auge wieder die weiten Ebenen, die schroffen Felsen und die rauschenden Fjorde.
Das Stück war aber leider viel zu schnell vorbei und es ging nach einer kurzen Umbaupause weiter mit dem Werk „Päärme“, einem rhythmischen Instrumentalstück für Violine, Violoncello und Klavier, das, geschrieben von Lotta Wennäkoski, einen Klangteppich aus vielen verschiedenen Spielmethoden bildete. Aus diesem Teppich erhoben sich im Laufe des Stückes die unterschiedlichsten Tonstrukturen, nur um dann wieder Teil von ihm zu werden. Eine berauschende Performance, die sich rhythmisch auf einer weiten Amplitude bewegte und ruhige und wilde Stimmungen in sich verband. In der Reihe vor mir begann sogar ein etwa fünfjähriges Mädchen, wild zu tanzen und ihren Kopf im Takt der Klavierstimme zu schütteln. Das passiert, wenn man Kinder ohne Umschweife an Neue Musik heranführt.
Pär Lindgren ist der Name des schwedischen Komponisten, der das 10 minütige Werk „Aliti“ für Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello 2006 geschrieben hat. Es ist ein Stück des ununterbrochenen Aufbaus. Mit verschieden Mitteln baut Lindgren ein Klanggerüst auf. Ton für Ton, Melodie für Melodie. In die Stille hinein begannen Cello und Klarinette gemeinsam, lange ruhige Töne zu spielen, die sich langsam in eine immer höhere Dramatik schraubten. Das taten sie in einem gleichmäßigen Rhythmus, der erst durch das Hinzukommen der Querflöte gebrochen wurde. Sie machte die Melodie heller und bildete einen weiteren Pfeiler in dem sich formenden Klanggerüst. Wieder schraubten sich die Klänge in dramatische Höhe und das Tempo wurde schneller, bis das Gerüst durch die zuletzt einsetzende Violine endlich vollendet wurde. Das folgende Forte wirkte wie ein Befreiungsschlag, der das Stück an seinem Höhepunkt beendete.
Den Höhepunkt des zweiten Blocks bildete für mich die Uraufführung von „Nine nights“, einem weiteren Stück von Karin Rehnqvist, das von einer mythologischen Geschichte handelt, die in Skandinavien sehr bekannt und vor allem beliebt ist. Es geht um eine Riesin, die geraubt und vergewaltigt wird und neun Nächte in der Höhle (und Hölle) ihres Entführers festgehalten wird. Rehnqvist baute zur Darstellung dieser Erzählung szenische Elemente in ihre Komposition ein, die von der Sängerin, Lena Willemark, die die Riesin spielte, gut umgesetzt wurden. Durch verschiedene Techniken (Schreien, Weinen, Wechsel von Kopf- und Bruststimme) schaffte sie es, das Leid der Riesin authentisch darzustellen und die Gefühle des Werkes mit dem Publikum zu teilen. Nachdem der letzte Ton verklungen war, folgte tobender Applaus, der dem Abend die Ehre erwies, die er verdient hatte, und erst als der letzte Zuhörer aufgehört hatte zu klatschen, waren wir wirklich wieder in Deutschland und nicht mehr in Skandinavien.
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