Gespannte Stille herrschte im Heimathafen Neukölln, die Blicke des Publikums ruhten erwartungsvoll auf dem sympathisch wirkenden Mann, der alleine auf der Bühne stand und ins Publikum blickte. Der „Prolog“ des Stückes hatte bereits stattgefunden, doch was war nun von diesem Menschen zu erwarten, der gerade mit einer leuchtenden Apparatur auf dem Kopf dagestanden hatte, während eine allen wohlbekannte Melodie erklang? Ich war vermutlich nicht die Einzige, die zunächst überrascht war, als in meinem Kopf der Text „Sandmann, lieber Sandmann“ wie automatisch parallel zu dieser Melodie ablief und ich mit Erstaunen feststellte, dass es sich tatsächlich um genau diese Melodie handelte. Sollte man lachen, wie es einige taten, oder hatte das ganze einen tieferen Sinn, über den man besser nicht zu lachen wagte? So genau wusste das in diesem Moment wohl keiner, und genauso wenig wagte man zu spekulieren, was als nächstes kommen würde. Während ich auf rationaler Ebene Experimente mit der Stimme erwartete (so hatte es schließlich im Programmheft gestanden), blieb mir unterbewusst dennoch die Erwartung, dass ein Mann, der sich alleine vors Publikum stellt, anfängt zu reden. Einfach zu reden, also gewohnte Laute von sich zu geben, meinetwegen auch zu singen.
Als Mischa Käser dann begann, war sofort klar: Nein, reden konnte das nicht genannt werden.Genauso wenig würde singen, wie ich es aus Chören und Vokalensembles kenne, das beschreiben können, was er tat. Wie ein Schwall von Lava begannen die Laute aus ihm heraus zu sprudeln und das Publikum in ihren Bann zu ziehen, seine Lippen flatterten, seine Zunge rollte, verschiedenartigste Töne und perkussive Knacklaute, deren genaue Entstehungsweise mir verschlossen blieb, verließen seinen Mund in einem Tempo, das es mir unmöglich machte, nicht einfach mit vor Faszination offenem Mund diesen Mann anzustarren. Man könnte meinen, dass die Faszination im Laufe der ungefähr 40 Minuten Aufführungsdauer irgendwann nachließ. Dass das nicht passierte, dafür sorgte Mischa Käser, indem er nach jedem Abschnitt eine Pause der Ungewissheit ließ und dann, oft relativ plötzlich, mit einer neuen Form der experimentellen Musik begann. Und dabei beließ er es nicht bei seiner Stimme. Eine klappernde Kette kam genauso zum Einsatz wie eine Trommel, eine Melodika und ein dreieckiges Saiteninstrument, auf dem sich außerdem zwei kleine Metallscheiben befanden, die neben dem Zupfen aneinander geschlagen werden konnten. Letzteres hat er, wie er uns später erzählte, einer Schülerin abgekauft, die es selber gebaut hatte. Neben dieser Form der Abwechslung sorgte auch sein “Text” für eine interessiert konzentrierte Stimmung im Raum. Hatte er jetzt was auf Deutsch gesagt, oder bilde ich mir das nur ein? Und wenn ja, hätte ich das dann verstehen sollen, ja, hatte es vielleicht sogar einen für die Aussage des Stückes relevanten Inhalt? Tatsächlich verwendete Mischa Käser nur an einer einzigen Stelle einen Zettel, und da dementsprechend auch einen deutschen Text. Passend zum Sandmännchen handelte es sich dabei um Kinderlieder, die teilweise auch typische Schweizer Lieder waren. Vielleicht hätte er für uns Berliner lieber Berliner Lieder nehmen sollen, sagt er später mit einem Schmunzeln. Aber „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ und einige andere konnten dann doch auch einige von uns erkennen.
Auf die Frage, ob Mischa Käser sich mehr als Theatermensch oder als Musiker sehe, antwortete er, dass jeder, der auf einer Bühne steht, ein Theatermensch ist. Irgendwie. Dennoch fühlt er sich der Musik mehr verbunden und ist demnach ein Musiker. Außerdem verrät er uns mit einem Schmunzeln, das man natürlich auch lachen dürfe, da es keine tiefere Aussage gebe und dass es in letzter Zeit einfacher geworden sei, auf der Straße zu üben, da jeder in irgendeiner Sprache in sein Headset spricht und er daher gar nicht mehr groß auffalle. Im Grunde, erklärt er, befriedigt er auf der Bühne nur seinen eigenen Drang, diese experimentellen Klänge zu produzieren, und netterweise schauten ihm noch Leute dabei zu. Viel von dem, was wir gerade gesehen hätten, sei improvisiert, einiges aber auch vorher festgelegt.
Insgesamt war es ein tolles Konzert und Mischa Käser ist ein beeindruckender Künstler, der mit seinem „Lava“ sicher nicht nur mich fasziniert hat.
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