Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) wird am 18.02.2017 das Festival Ultraschall Berlin mit einem Konzert aus drei Stücken eröffnen. Darunter Mauricio Kagels „Interview avec D. pour Monsieur Croche et Orchestre“. Das „D“ In Kagels Werk steht für Claude Debussy und nimmt Bezug auf Debussys Aufsatzsammlung „Monsier Croche antidilettante“, wobei M. Croche Debussys Pseudonym war, unter dem er musikwissenschaftliche Aufsätze veröffentlichte. Kagels Musik ist dabei mit Textpassagen von Debussy verwoben. Das Stück soll an Debussys Werke angelehnt sein, wie gut das umgesetzt ist, kann der Dirigent des Konzertes sicher beantworten. Ebenso ist es besonders interessant, den Komponisten eines Werkes zu diesem zu interviewen, weil man dabei die Hintergedanken des Künstlers, die einem sonst verborgen bleiben, erfahren kann.
Darum haben wir die Mittagspause des Orchesters für ein Interview mit dem Dirigenten und Komponisten Johannes Kalitzke genutzt, der das Konzert am 18.01.2017 dirigiert. Vor der Pause probte das DSO Kagels „Interview avec D. Pour Monsieur Croche et Orchestre“. Nach der Pause ging es mit der Leseprobe von Kalitzkes neuestem eigenen Werk „story teller“ weiter.
Herr Kalitzke, Schrieb Mauricio Kagel dieses Stück wirklich so, dass es wie eine Komposition von Debussy klingt?
Das Ganze ist ja irgendwo, wenn man so will, ein komponierter Dialog Debussys mit sich selbst. Was in dem Text steht, ist ja ziemlich skurril, weil Debussy eigentlich nur darüber spricht, was er alles nicht mag. Musik interessiert ihn nicht, neue Musik interessiert ihn nicht, andere Komponisten interessieren ihn nicht, irgendwie, wenn man den Text mal so durchgeht, besteht das ja eigentlich nur aus Ablehnung – oder aus Ignoranz fast, kann man sagen. Man kann nicht beurteilen, ob das Koketterie war, also ob Debussy absichtlich so tiefgestapelt hat oder ob er das wirklich ernst gemeint hat, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall gibt es die Aufsätze und Kagel hat diese so inszeniert, dass ein permanent offener Widerspruch bestehen bleibt. Dadurch ist natürlich auch zu erklären, warum es dauernd so nach Debussy klingt. Er widerspricht sich durch seine eigene Musik selbst, weil die Musik ist erstens neu, zweitens ist sie klanglich sehr subtil und so weiter. Und alles das, was in den Texten an Musikalität quasi abgelehnt wird, wird dabei in der Musik selbst wieder eingelöst.
Debussy verwendet den Begriff „Antidilettant“, wie setzt Kagel ihn um und was denken Sie, bedeutet er überhaupt?
Kagel macht den „Antidilettantismus“, glaube ich, zu einem kompositorischen Prinzip. Er nimmt ganz einfache Patterns, die aus kleinen Zellen bestehen, die eigentlich ganz trivial sind. Und nur durch die Multiplikation und die Verkettung dieser kleinen Zellen entsteht dann ein musikalischer Bogen. Wenn man so will, nimmt er lauter dilettantische Trivialitäten und baut sie auf zu einem künstlerischen Gebilde, das dann nicht mehr trivial ist. Das scheint eine nachhaltige Idee gewesen zu sein, denn er hat darauf danach öfter zurückgegriffen. Es mag auch sein, dass Kagel wirklich einen Gedanken von Debussy aufgegriffen hat, weil er nämlich in vielen Stücken seiner späteren Phase ebenso verfahren ist. Er hat eigentlich immer fast banale und kommerzielle Elemente genommen und die dann aber zu künstlerischen Gebilden aufgeplustert.
Ist es schwierig, so ein Stück zu dirigieren?
Na ja, es ist nur dann schwierig, wenn der Notendruck irreführend ist. Die Partitur sieht zwar schön aus, aber sie verleitet einen immer wieder, woanders hinzuschlagen, als man will. Das hat immer damit zu tun, dass die Proportionalität der Takte nie stimmt, das ist aber eine rein technische Geschichte.
Gibt es bei dem Stück Instrumente im Orchester, die ungewöhnlich sind?
Ganz wenig, also höchstens mal im Schlagzeug ein Vibraslap oder eine Cabasa, aber im Wesentlichen nimmt er schon die Instrumente, die im klassischen Orchester von Debussy auch alle vorkommen. Es ist also keine E-Gitarre, Akkordeon oder sowas dabei.
Klingt das Werk von Kagel an Ende wie ein Debussykonzert?
Nein, Kagel instrumentiert dann doch mehr in Richtung Kagel. Ich meine, Debussy kommt schon zu Stande, aber das Vokabular ist so sehr Kagel, dass man nicht ohne weiteres sagen kann, man überträgt die Klanglichkeit von Debussy, was weiß ich, „La Mer“ oder so, auf dieses Stück, das würde nicht funktionieren. Also, hier kann man nur so lange Kagel proben, bis Debussy entsteht, aber man kann das Stück nicht umfärben, dann ist die Charakteristik des Neuen weg. Das würde ich auch nicht wollen. Mir ist schon wichtig, dass man Kagel hört, im Gemäuer von Debussy, aber man kann den Urheber nicht ausradieren, durch eine fremde Ästhetik.
An einer Stelle, es ging gerade um Mikrotöne, da haben sie gemeint: „Die Zeit, in der keiner Mikrotöne spielen kann, ist vorbei, Sie können alle Mikrotöne spielen.“
Das war eher suggestiv gemeint.
Was macht für Sie den Reiz von Mikrotönen aus?
Die Mischung, also ich setze das in meinen Kompositionen ja auch sehr gerne ein. Wenn man Vierteltöne gut einsetzt, entstehen durchaus auch wieder konsonante Akkorde. Bei Kagel ist das so gewollt, das soll schief klingen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten Vierteltöne so einzusetzen, dass wieder eine neue Harmonik entsteht, die in sich dann ganz konsonant wirkt. Das ist spannend. Wenn Sie jetzt zum Beispiel die natürliche Obertonreihe nehmen: Je weiter Sie nach oben kommen, desto ungenauer wird es ja. Zum Beispiel der siebte Oberton, der wäre beim Horn ein zu hohes b – der ist schon fast ein Viertelton. Man hat selbst in der natürlichen Obertonreihe Vierteltöne drin, die sind nicht sauber, im temperierten Sinne. Davon ausgehend kann man alles Mögliche mit Vierteltönen machen, eben was spektrale Konstellationen betrifft. Vor 20- 30 Jahren war es schwierig für einen Musiker, die auf Anhieb zu treffen. Je mehr Komponisten heute Vierteltöne einsetzen, desto mehr sind Orchester auch gewohnt, sowas auf Anhieb zu treffen. Natürlich, je größer das Tutti ist, desto gewagter wird’s. – Ich habe die Musiker gebeten, diese Stellen umschzureiben, weil lustigerweise einen Viertelton von unten anzusteuern immer schiefgeht. [Geschrieben sind Vierteltöne in der Partitur als der Halbton darunter, mit einem Pfeil nach oben. (Anm. d. Red.)] Es ist schwieriger, von unten etwas hochzuheben, als von oben etwas herunterfallen zu lassen. Deswegen sage ich immer: Ihr müsst einfach einen Halbton höher spielen und dann wieder zurücksetzen, dann ist es sauber. Das funktioniert immer.
Die Geiger haben die Vierteltöne ohne Stimmgerät gespielt!
Das Einstimmen ist eine Arbeit in der Gruppe. Alle müssen den Ton wirklich für sich erstmal sauber setzen und dann einen Zehntelmillimeter runter und da müssen wir dann stimmen.
Wir haben mal die Arbeit des RIAS-Kammerchores an einem Stück von Georg-Friedrich Haas miterlebt, in dem eben Vierteltöne vorkommen. Die Sänger haben wirklich mit Stimmgeräten dagestanden.
Ja, da gibt es alle möglichen Hilfsmittel. Ich finde das auch ganz legitim, entscheidend ist immer, dass das Ergebnis funktioniert. Man kann auch z.B. so ein Mini-Keyboard nehmen oder auf dem Handy eine App als Mini-Keyboard nutzen, das kann man dann vierteltönig einstellen. Dann kann man sich ein Bluetooth-Knöpfchen ins Ohr nehmen und sich den Viertelton übers Handy vorspielen. Alles möglich, haben wir auch schon gehabt. Finde ich auch gut, wenn jemand sonst ungeheuer lange rumsuchen muss, weil er kein absolutes Gehör hat, soll er’s machen. Wenn er absolutes Gehör hat, geht das wahrscheinlich auch so, aber selbst dann ist es ganz gut, wenn man was zum Kontrollieren hat. Das vereinfacht das Leben.
Im Eröffnungskonzert kommt auch Ihr eigenes Stück „story teller“ zur Uraufführung. Was macht dieses Stück aus?
Das bezieht sich auf Modefotographen, die eigentlich Modeobjekte als Anlass nehmen, um Bildergeschichten zu erzählen. Tim Walker zum Beispiel ist einer, der nimmt ein Kleid von Gaultier, aber das Bild sieht aus wie Hänsel und Gretel. Das heißt, er schafft ein Environment, das märchenhaft oder mythisch ist und bringt so das Triviale, das Kommerzielle in einen Zusammenhang, der unglaublich archaisch ist.
Da haben wir dann wieder den Antidilettanten…
Ja, wenn man so will, ist das eine schöne Brücke. Jedenfalls diese Kombination von comicartiger Trivialität mit dem klassischen Orchester und dem Solisten vorne, also irgendwie die Begegnung des Banalen mit dem Artifiziellen. Das ist der eigentliche Gegenstand des Stücks. Dazu gibt es viele elektronische Zuspielungen. Ganz lustige Sachen, die auch wirklich aus dem trivialen Bereich kommen, wie Badeenten zum Beispiel.
Das klingt natürlich nicht mehr so ganz vordergründig nach Badeente, sondern mischt sich ein in die ganze Sache und verbindet sich mit dem Orchester auf irgendeine Weise. Oder auch ein zehnfach beschleunigtes Kinderlied und solche Geschichten sind da drin. Sachen, die aus dem trivialen Bereich kommen, werden so angepasst, dass sie, wenn man so will, im artifiziellen Bereich neu beheimatet werden. Das ist das, was die Fotographen eben mit Objekten machen. Es gibt ja Fotos, die kosten 25.000 Pfund, weil der Fotograph z.B. erstmal einen Raum zerstören lässt, mit einer Explosion, so dass er nur noch eine Ruine ist. Den ganzen Müll, der dann da drin ist, den lässt er so und stellt dann oben irgendwo auf den Sims, ganz klein, eine Frau in einem roten Kleid hin, sodass das Objekt völlig dezentralisiert ist, und der zerstörte Raum selbst ist der Vordergrund und das Thema. […] Das ist also der gedankliche Hintergrund meines Stückes. Auch das Solo-Cello wird so behandelt, dass es immer mehr beiseite gedrängt wird. Das heißt also, der Protagonist wird marginalisiert und durch den Raum erdrückt. Für mich hat das mit dem Verhältnis von Individualität und kommerziellem Druck zu tun. Dass man immer mehr ent-individualisiert wird durch äußere Zwänge, die auch irgendwo alle kommerziell gesteuert sind.
Das heißt, sie haben sich in Ihrem Werk explizit auf dieses Bild von Tim Walker bezogen?
Nicht nur, mir geht es um das allgemeine Verhältnis zwischen Umgebung und Individualität. Andere behandeln das Thema in ähnlicher Weise in der Literatur.
Vielleicht können sie uns ein paar Höranweisungen geben für Ihr Stück?
Reinsetzen, wirken lassen. (er lacht) Ich kann nicht sagen: „Wie soll man hören?“ Das einzige, was man tun kann, ist, es zwei-, dreimal hören. Durch die wiederholte Erfahrung des gleichen Stücks hört man jedes Mal etwas anderes. Irgendwann setzt sich dann ein Bild zusammen, ich muss das auch machen.
Hört man auch eine derartige Zerstörung, wie man sie auf dem Bild sehen kann?
Kann sein, ich weiß das immer auch noch nicht so genau. Man schreibt ja ein Stück und ich versuche das zu Hause auch für mich irgendwie vorstellbar zu machen, aber es wird trotzdem immer ein Abenteuer. Zwischen dem. was man sich vorstellt und dem, was in der Realität klingt, liegt immer ein großer Unterschied. Auch wenn man schon seit 40 Jahren komponiert, es bleibt immer etwas neu und ungeahnt, man bleibt Anfänger. Das ist aber auch das Schöne, ich finde das gut, immer Anfänger zu bleiben, denn dann muss man auch immer wieder neue Ansätze finden. Das kann man natürlich auch anders machen, man kann sagen, ich habe jetzt eine Methode gefunden, die wiederhole ich immer. Dann produziert man gewissermaßen Markenartikel. Ich mag das nicht.
Im Schlagwerk hängt eine Pfanne, gehört die zu Ihrem Stück?
Weiß ich nicht, kann sein, da kann ich mich jetzt nicht… eine Pfanne?
Ja eine Bratpfanne, eine Teflonpfanne.
Das kann ein Missverständnis sein, da kann jemand etwas falsch aufgefasst haben, das muss ich noch prüfen. Doch es kann folgendes sein: Ich habe an einer Stelle geschrieben, spielt Woodblocks und soll ein Metallinstrument dazu hängen. Aber es soll mir recht sein, da bin ich eigentlich ganz froh, denn Pfannen klingen gut. Aber ich glaube, das kann nur bei mir sein, denn bei dem Werk von Erhard Grosskopf gibt’s keine Pfanne.
Sie sind ja gerade in der ersten Leseprobe des Orchesters. Wie fühlt es sich an, wenn man weiß, das ist gerade das erste Mal, dass jemand das Stück spielt?
Verunsichert steht man vor dem Orchester, denn man hat sich ja als Dirigent oder Komponist gleichermaßen zu beweisen. Wenn ein anderer Dirigent das macht, dann sitzt man alleine unten mit seinem Beißholz und geht am besten raus, wenn’s erstmal gar nicht geht. Als Dirigent kann man da aber nicht mehr raus gehen, sondern muss sich da durcharbeiten. Es gibt aber auch immer wieder Sachen, die man im eigenen Sinne korrigiert. Vielleicht habe ich ein „forte“ für die Hörner geschrieben, das ist falsch, das muss „fortissimo“ sein oder so. Es geht im Wesentlichen um eine Balancierungsgeschichte. Als Dirigent bei neuer Musik ist man eine Art Bio-Mischpult. Da geht es weniger darum, dass man den Leuten sagt: „Macht mal einen Übergang, der muss weicher oder besser geatment sein.“ Das ist nicht so das Thema wie bei Brahms oder so, sondern hier geht es meistens darum, das Wichtige hörbar zu machen und das, was begleitet, wirklich begleiten zu lassen. Man muss die Balance ständig umjustieren, da diese auch vom Saal abhängt. Jeder Raum reagiert auf jedes Instrument anders oder umgedreht. Insofern ist es immer die Frage, wen man wie laut spielen lässt, damit alles homogen klingt.
Die Frage nach der Pfanne klärt sich übrigens nach der Probe von „story teller“, denn Herr Kalitzke konnte sich nur nicht mehr daran erinnern, dass die Pfanne in der Partitur sogar namentlich genannt ist. Nach der ersten Probe sind wir auf jeden Fall gespannt auf das Eröffnungskonzert am Mittwochabend.
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