Auf der Schwarzen Leinwand des Großen Saales im Radialsystem erscheint plötzlich eine weiße Fünf. Im Sekundentakt wird runtergezählt auf Null und das Wort: „Start“ bleibt, während das Spotlight Jennifer Walshe in den Fokus rückt. Während sie beginnt, wirre Worte auf Englisch rhythmisch zu wiederholen, ertönen im Hintergrund ungewohnte Klänge, die nirgendwo richtig eingeordnet werden können. Die Stimmungen schwanken schnell. Die Texte ändern sich in ihrer Vortragsweise minütlich und die harten Klänge im Hintergrund weichen bisweilen seichtem Säuseln oder bedächtiger Stille. In präziser Abgestimmtheit arbeitet die Künstlerin mit Text, Video, Stimme und Elektronik und schafft mit „So many People“ eine Komposition des Wandels und der ständigen Veränderung.
Es folgt ein Interview aus einer Probe, die Einblicke in eine verrückte Welt aus gelungenen Verbindungen gibt.
Wie entsteht ein Stück wie das Ihre, wo finden sie ihre Ideen und Inhalte?
Es ist eine große Aufgabe des Sammelns. Um das Material für meine Stücke zu finden, gehe ich durch viele Partituren und versuche alles zu finden, das mit dem gefundenen Material verbunden ist. Diese Phase ist sehr intensiv und manchmal fühlt es sich heute kurios an, dass ich das Stück 2010 geschrieben habe, denn viele der Inhalte fühlen sich noch so frisch an, als hätte ich sie erst gestern entdeckt. (lacht) Da sind athmosphärische Klänge, die ich von der NASA bekommen habe, Aufnahmen amerikanischer Soldaten im Irak, eigene Aufnahmen, die ich überall auf der Welt gemacht habe und noch viel, viel mehr. Im Grunde bin ich einfach die ganze Zeit auf der Suche nach Texten, Videos, Aufnahmen und anderen Materialien. Und dann fange ich einfach an, alles zu arrangieren.
Das Videomaterial wirkte sehr alt. Von wo und von wann sind diese Aufzeichnungen?
Die Videos sind alle von einer Internetplattform, die bestimmtes, vor allem altes Videomaterial kostenlos zur freien Verfügung stellt. Die meisten dieser Filme waren um die 20 Minuten lang und, um noch einmal auf die Findung meiner Materialien zurückzukommen, es kam oft vor, dass ich dann nach diesen 20 Minuten nur eine Sekunde des Filmes für mein Stück übernommen habe. Die meisten der Filme sind öffentliche Instruktionsvideos aus den 1940er oder 60er Jahren. So sind zum Beispiel Sicherheitsfilme dabei, die den richtigen Umgang mit Chemikalien beschreiben, Videos aus der Fahrschule, die die Bewegung auf der Straße lehren oder aber auch Dokumentationen über einen Friseursalon für Damen. Früher habe ich in New York gelebt und weil ich diese Stadt immer noch liebe, spielen die Filme alle in dieser großartigsten Stadt der Welt.
An einigen Punkten haben sie gesellschaftskritische Themen in ihr Stück eingebracht. Was hat es damit auf sich und was kritisieren sie?
Meine Kritik ist meist zwiespältig. Denn ich versuche immer, beide Seiten zu sehen. Das Internet zum Beispiel beinhaltet zwar viel Schlimmes, Zerstörerisches, Verfolgendes aber auch viel Gutes und Informatives. Dabei ist es vor allem interessant, die Entwicklung dieser Zwiespältigkeit, die ich digitale Zwiespältigkeit nenne, zu beobachten. Trotzdem zeigt sich mein Stück natürlich sehr ablehnend gegen Krieg, Konflikte und zeigt mit dem Finger auf die schweren gesundheitlichen, psychischen Folgen, die unsere Art zu leben nach sich zieht.
Dabei muss man aber immer auch beachten, dass Dinge niemals nur Schwarz und Weiß sind.
Was macht all diese verschiedenen Einzelteile zu Kunst?
Die Verbindung. Wenn du so willst, bin ich eine viel reisende Abenteurerin, die überall nach Schätzen sucht, um sie möglichst ausdrucksstark zu einem Kunstwerk zu verbinden.
Aber auch der Umgang mit dem Text ist essenziell für meine Stücke, denn würde ich die arrangierten Passagen emotionslos vortragen, wäre nichts erreicht. Erst durch die stimmliche Ausarbeitung wird der Text Teil des Klangbildes. Für mich sind Stimme, Text und Klang unaufbrechlich miteinander verbunden.
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