Freitagabend in Neukölln, Ultraschall im Heimathafen. Es verspricht ein langes Konzert zu werden – und dieses Versprechen wird gehalten. Er, Rainer Pöllmann, Leiter des Festivals von Seiten des Deutschlandradio Kultur, verspricht ein vergnügliches Konzert. Dieses Versprechen wird auch erfüllt.
Vor mir steht ein Musiktier. Es spricht. Singt, krächzt, flüstert, stirbt fast, rastet aus. Aus irgendeinem Grund muss ich an grüne Elefanten denken. Kopfkino. Vor meinem inneren Auge entsteht eine Szene, entwickelt sich eine Atmosphäre. Die „Ballate No. 2 und No. 3“ von Francesco Filidei sind zum Augenschließen, aber nicht aus Langeweile, sondern weil mir ein Klang entgegenkommt, den ich nicht auseinanderdividieren möchte, so einig atmet das Ensemble Mosaik die Töne aus der Partitur.
Es folgt ein weiteres Werk Filideis, allerdings in einer gänzlich anderen Sprache, die mir nicht weniger gefällt. „Ein Musikstück ohne Musikinstrumente“ wird die „Opera (forse)“ im Programmheft genannt, auf der Bühne stapeln sich stattdessen Alltagsgegenstände wie Flaschen, Schläuche oder Vogelpfeifen. Die Szenerie erinnert an das Studio eines Geräuschemachers, außer, dass es nicht bloß um die Laute an sich geht, sondern um die rhythmische Zelebration einer komplex koordinierten Szene, die zuvor von einem Sprecher geschildert wird. In acht Abschnitten verlieben sich erst ein Karpfen und eine Nachtigall ineinander, dann werden sie tragischerweise Opfer vom Fischer und vom Jäger, es gibt eine kleine Totenzeremonie und schließlich einen wortwörtlichen Leichenschmaus. Dieses Stück hat Spaß gemacht ohne lächerlich zu wirken.
Nach der Pause liegen meine Qualitätsansprüche hoch, und der Zugang zu Matthew Shlomowitz‘ „Popular Contexts 8“ für Drumkit und Samples fällt mir deutlich schwerer. Die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilen der Komposition sind mir teilweise unklar, nach der Hälfte der Zeit habe ich das Gefühl, es wurde bereits alles gesagt. Es ist, als würde ich jemandem beim Computerspielen zuschauen – ohne persönlichen Bezug fühle ich mich nicht angesprochen.
Das „Inferno“ von Trond Reinholdtsen stimmt mich wieder versöhnlich. Die Komposition der Schlagzeug-und-Video-Installation unterscheidet sich vollkommen von meiner Erwartung und ist in ihrer absurden Art sehr erhellend. Der Schlagzeuger Håkon Stene beweist vor allem auch sein schauspielerisches Talent. Der Abend offenbart sich als ein sehr facettenreicher, dadurch dass Musiktheater, Performance, Elektronik genauso eine Rolle spielen wie die im Mittelpunkt stehende Musik.
Die abschließende Uraufführung von Karen Powers „veiled babbel“ für Ensemble und Elektronik geht in Anbetracht des bereits vorangeschrittenen Abends etwas unter. Mich umschließt ein Surround Klang, der durch das auf der Empore verteilte Ensemble Mosaik und die im Publikum sitzenden Smartphone-Spieler durchaus atmosphärisch wirkt und in der Steigerung eine spannende Akustik aufweist. Die repetitiven und manchmal willkürlich anmutenden Muster ziehen die Komposition jedoch unnötig in die Länge.
Müdigkeit ist die erste Konsequenz dieses insgesamt drei Stunden dauernden Konzerts, aber sie verflüchtigt sich auch wieder schnell in den angeregten und mitunter kontroversen Diskussionen über das eben Gehörte. Ich persönlich bin froh, nach dem hollywoodlastigen Eröffnungskonzert am Mittwoch diesmal wirklich großes Kino geboten bekommen zu haben.
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