Auffällig kleine Bewegungen, leicht geschwungener Dirigentenstab. Kristjan Järvi hält ihn in seiner rechten Hand, vor dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin stehend. 10:00 Probenbeginn für das Orchester, geprobt wird das Programm zum Auftaktkonzert am Mittwoch um 20:00 Uhr. Kristjan Järvi beginnt mit einer sachten Bewegung, den Noten zu folgen und somit das gesamte Orchester zu leiten. Alle Einsätze und Stücke geht er mit Gelassenheit an. Links neben ihm steht der Saxophonist James Carter.
Die meisten Menschen denken bei „Neuer Musik“ immer gleich an schrill, dissonant, ungewöhnliche Orchesterbesetzung, vielleicht sogar eigenartige Zeichen in der Partitur. Das Auftaktkonzert steht auch unter dem Begriff „Neue Musik“, doch ist es keineswegs das, was ich gerade oben beschrieben habe. Der Klang, den das Orchester mit dem Saxophon zu hören gibt, ist einzigartig und unfassbar echt. Während man dieses Stück von Roberto Sierra hört, fühlt man sich sofort nach Amerika versetzt, wo Jazzmusik auf der Straße gespielt wird. Jeder geht dran vorbei, erfreut sich und ist dankbar für Musik. Hier und heute in der Probe ist das ganz genauso, das Orchester begleitete das Saxophon nicht, es stellt den einzigartigen Hintergrund. Die vielen Menschen auf einem großen Platz, einige bleiben stehen, einige drängeln sich vorbei zur U-Bahn, andere wiederum schlendern mit ihren Liebsten an Einkaufsläden vorbei… Dieses Gefühl ist so echt, dass ich erschrecke, dass Musik so nah gehen kann.

Das Genre „Neue Musik“ ist mehr als nur ein Allgemeinbegriff, es ist die Musik die heute produziert wird. Es sind keine typischen Sonaten oder Konzerte wie von Bach oder Beethoven. Solche Formen brauchen wir heute vielleicht nicht mehr, sondern Klänge ohne strenge Form, die Gefühle ungeniert weitervermitteln können. Es ist unfassbar zu hören und auch zu sehen, wie der Solist seine Saxophone behandelt. Mit einer liebevollen Hand beherrscht er es, und oft tanzt er beim Spielen auch ein wenig zur Musik. Auch dem Orchester scheint diese Art von Musik sehr zu gefallen, in der Pause gehen die Schlagwerker gemeinsam ihre Noten durch, um sich nochmals mit dem Rhythmus vertraut zu machen und sich gegenseitig zu helfen. Mit lachenden Gesichtern klatschen sie den Rhythmus, ein Schlagwerker spielt dann seine Melodie darüber. Auch die Cellisten lächeln, während sie schnelle, kurze, sehr rhythmische Noten spielen müssen. Dieses Stück trägt die Freude, die es zum Ausdruck bringt in allen Facetten.

In der Pause spreche ich mit dem Dirigenten Kristjan Järvi. Er ist ein sehr sympathischer, offener Mensch. Wir unterhalten uns über die Stücke, die beim Auftaktkonzert gespielt werden. Nicht jeder kennt Neue Musik, und doch gibt es viele Vorurteile, sie nicht zu mögen. Kristjan Järvi vergleicht die Neue Musik mit einem Pop-Song. Nicht jeder mag das, was im Radio gespielt wird, es begeistert einfach nicht jeden und so ist das auch mit der Neuen Musik. Aber sollte man deswegen gleich alles ablehnen, was neu geschrieben wird? Seiner Meinung nach sollte es eine Trennung der Genres sowieso nicht geben. Natürlich ist Neue Musik nicht so bekannt wie manche Songs aus dem Radio, das liegt aber auch daran, dass sie einfach seltener gespielt wird. Zum Schluss empfiehlt er den Zuhörern noch, sich zurückzulehnen und eine gute Zeit zu haben. Das werde ich ganz sicher tun.
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