Es ist ganz ohne Zweifel ein weiter und bisweilen mit einigen Mühen und Unwägbarkeiten verbundener Weg, den die Komponisten dieser Welt tagtäglich aufs Neue gehen müssen. Bei der Entstehung eines musikalischen Werkes vergehen von der ersten Idee bis zur Fertigstellung oder Aufführung mal nur wenige Wochen, dann wieder Jahre oder Jahrzehnte. Es ist dies ein Prozess, der, abgesehen vom Komponist und seinem Instrument, oft nur wenige Zeugen besitzt, und der Moment der Aufführung ist dann der erste Moment, in dem eine breitere Öffentlichkeit einen Eindruck von seinem Schaffen erhält. So gesehen ist es ein einzigartiges und kostbares Privileg, diesen Entstehungsprozess zumindest ein Stück weit begleiten und beobachten zu dürfen. Für viele Schöpfer Neuer Musik ist die enge Zusammenarbeit mit den aufführenden Ensembles und Orchestern ein zentraler Aspekt ihrer Arbeit, so auch für den Schweizer Michael Pelzel. Diesem war nun bei Ultraschall Berlin ein ganzes Konzert gewidmet.
Ich hatte das große Glück, die letzte Probe vor diesem Konzert gemeinsam mit ihm beobachten zu dürfen. Dort wurde bereits deutlich, was er auch im anschließenden Gespräch noch einmal besonders hervorhob: dass seine Werke aus besagter Zusammenarbeit entscheidende Impulse erhielten und dies somit ein richtungsweisender Bestandteil des Entstehungs- und Schaffensprozesses sei. Bei der Fertigstellung einer Komposition habe er zunächst nur eine „approximative Klangvorstellung“, die jedoch durch die gemeinsame Arbeit mit den Musikern noch grundlegende Wandlungen erfahre. Das vollendete Werk entstehe also erst kurz vor der Aufführung, allerdings wolle er dieses „Risiko bewusst eingehen“. Das war insofern deutlich zu sehen, als Pelzel immer wieder in den Probenverlauf mit dem Klangforum Wien unter der Leitung von Johannes Kalitzke eingriff und seine persönlichen Vorstellungen und Änderungen einbrachte. Soweit ich beobachten konnte, war er jedoch stets offen für den Diskurs und die aktive Auseinandersetzung mit dem Ensemble.
Sein Debüt beim diesjährigen Ultraschall Berlin hatte Pelzel bereits im Eröffnungskonzert, und das gleich mit einer hochgelobten Uraufführung. Kaum verwunderlich also, dass man alle Register ziehen musste, um noch an eine Karte für das gestrige Portraitkonzert zu gelangen.
Viele Erwartungen waren im Vorfeld gehegt worden, doch begann es mit …along 101… etwas schwächer als nach den vorangegangenen Eindrücken zu erwarten gewesen wäre. Entstanden nach den Eindrücken einer Amerikareise des Komponisten, war es reich an klanglichen Facetten und Ebenen. Diese lösten sich jedoch, einer flüchtigen Spur gleich, nach und nach auf, von einer Entwicklung oder Variation gar nicht erst zu reden.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nur schwer streiten, doch lag die Problematik hier meiner Meinung nach viel eher in der Grundkonzeption des Stückes. Durch die hohe thematische Aufladung, also die Auseinandersetzung mit „historischem Kontext und gesellschaftlichen Verhältnissen“ werden im Zuhörer plastische Erwartungen geweckt, die so in der Form kaum oder gar nicht erfüllt werden. Denn dazu bleibt es dann doch allzu sehr an der Oberfläche und wirkt konturlos.
Wie anders dagegen …sentiers tortueux…! Geschickt spielen sich hier die verschieden Teile des Ensembles Themen und Motive zu, von den Bläsern zu den Streichern zu den Pianisten zum Schlagwerk… Immer weiter werden sie entwickelt, immer gewagtere Variationen kommen dem Zuhörer im Saal zu Ohren. Bis er schließlich gefangen ist im Sog aus Klangströmen und Farben, den Michael Pelzel einmal als das „Ziel seiner Musik“ bezeichnete. Dadurch, dass der Impuls durch einen Klangkörper stets aufgenommen und variiert wurde, gestaltete sich …sentiers tortueux… ausnehmend kurzweilig und bot den Zuhörern ein Klangforum, das seinem Namen mehr als gerecht wurde. Klangforum, Forum des Klangs, das Forum als Ort der Kommunikation, Inspiration, Interaktion…
Sempiternal Lockin – mit diesem rätselhaften Titel reizt Michael Pelzel dazu, unvoreingenommen und somit frei an die ästhetische Erfahrung seines Werkes heranzugehen. Es steht wohl außerfrage, dass dies niemals etwas anderes sein wird als ein – ehrenhaftes – Ziel, doch sollte man es stets aufs Neue versuchen.
Sempiternal Lockin beginnt, etwas überraschend, sehr melodisch im klassischen Sinne. Die Harfe entwickelt in einem Solo zunächst ein Anfangsmotiv – es ist Pelzel hier zugute zu halten, dass die Harfe dafür, auch zeitlich gesehen, den notwendigen Raum erhält. Das nun nach und nach einsetzende Ensemble erschafft aus dieser ersten Sequenz einen großartigen, subtilen Klang, der sich über den Raum verteilt, fast wie ein klanglicher Nebel oder Schleier – allerdings ein transparenter, durchscheinender, der lediglich zu hören und zu fühlen ist. Enttäuschend nur, dass sich der sonst in seiner Musik so klar, so präzise ausdrückende Komponist nun ganz offensichtlich nicht für eine plausible Variante entscheiden konnte, um die durchaus vorhandene Spannung aufrechtzuerhalten.
War es wirklich das Ziel, aus einem geschlossenen Ensemble viele kleine, autarke Klangkörper zu gestalten? Oder waren es doch ganz einfach Schwierigkeiten bei der Interaktion, die den Zuhörer vor die schier unlösbare Aufgabe stellten, vier kleinen Klangforen parallel die Aufmerksamkeit zu schenken? Es wirkt, im Hinblick auf den virtuosen Schlussteil, eher wie eine kurze Phase der Erschöpfung als ein grundlegender Makel, was dem Ensemble im Mittelteil von Sempiternal Lockin wiederfuhr.
Ja, der virtuose Schlussteil: hier kehrte dann zur allgemeinen Erleichterung all das zurück auf die Bühne, was man kurz zuvor noch etwas vermisst hatte. Das Werk besitzt an dieser Stelle einen hohen dramaturgischen Wert, denn durch die Minimalisierung der verschiedenen Klänge bis an die Grenze der Wahrnehmbarkeit werden erneut Erwartungen geweckt und steigern sich bis ins Dramatische. Zu hinterfragen wäre hier höchstens der Stellenwert der Harfe, die sich erwartungsgemäß nicht gegen die Phalanx der Schlagwerke durchsetzen konnte.
Es gab neben der großartigen künstlerischen Leistung sowohl auf Seiten des Komponisten als auch des Ensembles noch einen weiteren entscheidenden Aspekt, der in diesem Fall den Unterschied zwischen „einem Abend im Konzertsaal“ und „einem ganz besonderen Abend“ ausmachte. Dies war der völlige Verzicht auf jene klangliche Erweiterung, von der durch so manchen Komponisten der Neuen Musik im Übermaß Gebrauch gemacht wird – elektronische Klänge. Es sei seine Vorstellung, eine Musik mit „hoher Dichte“ zu erschaffen, so Michael Pelzel vor dem Konzert im Interview. Er beobachte die Veränderungen und Tendenzen in diesem Bereich zwar mit großem Interesse, erachte dies jedoch für die von ihm angestrebte Klangdichte und Authentizität in keiner Weise für notwendig.
Es war dies einer der facettenreichsten und vielschichtigsten Abende des bisherigen Festivals. Die Werke Michael Pelzels loteten die Grenzen des musikalisch Möglichen konsequent aus und wurden vom Klangforum Wien über weite Strecken mit hoher Dichte und Intensität dargeboten, die den Zuhörer mitunter vergessen ließ, dass er sich noch im Konzertsaal befand.
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