Andreas Göbel hat während des Konzertes das Publikum um einen Kommentar zu Gerhard E. Winklers “Black Mirrors” gebeten:
Nach den erstaunlich virtuos und multiphon von Jörg Wiedmann gespielten Stücken beginnen die Black Mirrors mit tonlosen Klappentrillern und langsam zunehmenden Lufthauchen, aus denen ganz zart und lleise ein Ton hervorquillt, der bei mittlerer Lautstärke sich plötzlich vervielfacht sich aufspaltet und auseinanderstrahlt. Sofort habe ich die Vorstellung von umtriebiger Großstadt mit Autohupen im Verkehrsgewühle – keine Illusion von friedlichem Landleben. Die Live-Elektronik des Komponisten Gerhard E. Winkler bereichert den nüchtern-konkreten Ton der Klarinette mit Vervielfältigungen von Melodieteilen und versetzten Echos zu einem breit gefächerten Klangraum. Zeitweise habe ich die Vorstellung von einer Großbaustelle – wie in Berlin – mit polternden Baggerschaufeln und zischenden Schneidbrennern. Manchmal steigt der Ton kontinuierlich in die Höhe, in unglaubliche Höhen und atemberaubender Geschwindigkeit; manchmal wird eine Tonfolge in morseartiger Kürze wiederholt. Zuweilen erscheint die Klangfülle aus den Lautsprechern wie ein brausendes Gewoge, in dem das schmale Fahrzeug der Klarinette um das klangliche Überleben kämpft. An anderen Stellen tritt die Elektronik in einem Ostinato in den Hintergrund wie ein weiter Horizont, vor dem die klaren Tonfolgen der Klarinette ein wanderndes oder hüpfendes Einzelwesen
zur Vorstellung und zum Ausdruck bringen. Und immer wieder kniegestützt die überraschende Zwei- und Dreistimmigkeit über oder unter dem geblasenen Ton: Jörg Wiedmann vorgebeugt in voller Konzentration wie verneigt vor dem entstehenden Klang im weittragenden Kirchenraum.
Der Titel “Black Mirrors” bezieht sich vielleicht auf diese elektronische Verfremdung, die kein klares Spiegelbild erschafft, sondern ausufernde Figuren mit unscharfen Rändern und entgegengesetzten Rhythmen und Lautstärken in den Klangraum des Spielers wirft, der gespannt in den Schwarzen Spiegel hört.
Wie kann das alles nur aufgeschrieben werden?
Gerhard und Jörg spielen voll Lust mit viel Herz und Präzision und mit langem Atem diese komplizierte Komposition: ein Höhepunkt und ein Hochgenuß zum Abschluß dieses unvergeßlichen Konzertes.
Wulf Essen
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