Ein Stück für das Ensemblekollektiv Berlin, Dauer: ca. 15 Minuten, Uraufführung: Ultraschall 2015.
So lautete Sarah Nemtsovs Auftrag von Deutschlandradio Kultur.
Entstanden ist: „white wide eyes”, ein Werk für die 23 Musiker des Ensemblekollektivs, Elektronik und Video. Eine sehr komplexe Inszenierung, sodass der Aufbau und Soundcheck mehrere Stunden dauert, bis die elektronisch verstärkten Instrumente und Megaphone die richtige Lautstärke haben und sich auch keine elektrischen Kanäle mehr störend überlagern.
Die Musiker sitzen in ihren Ensembles gruppiert, als verbindendes Element dient das Keyboard, das genau in der Mitte der Bühne platziert ist. Vor dem Keyboard steht eine durchschimmernde Leinwand, auf die manchmal Fotos anderer Ensemble Mitglieder projiziert werden, wie sie am Keyboard sitzen. Außerdem sind links und rechts davon noch zwei Leinwände von der Decke heruntergelassen worden. Auf diese werden, scheinbar wahllos, die unterschiedlichsten Bilder projiziert: Gemälde, Urlaubsbilder, Selfies und der Londoner U-Bahn-Plan.
Bei ihrer Komposition hat Sarah Nemtsov in erster Linie das Thema Schichtungen interessiert, sagt sie uns. Als klangliches Phänomen, Echo auf das Erlebte in einer Großstadt und einer virtuellen Welt, sowie ganz persönlich. Von der Besetzung ist die Komponistin begeistert, denn „In einem Kollektiv kann man Sachen schaffen, die sich ein einzelner nicht ausdenken kann.” Sie findet, dass ein heterogenes Ensemble eine große Kraft entwickeln kann und somit gerade in eine Großstadt wie Berlin passt. Dieser Gedanke ist omnipräsent in ihrem Werk. Sie möchte, dass jedes Ensemble mit seinem ganz eigenständigen Profil und seiner eigenen klanglichen Welt wahrgenommen wird. Die Musiker sollen miteinander interagieren, doch auch an einigen Stellen sich gegenseitig auslöschen. Dabei übernehmen sie selbst die Leitung, der Dirigent gibt nur gelegentlich einen Einsatz.
Das Keyboard dient als Impulsgeber und bildet somit eine Art „seltsames Zentrum“. Jede Keyboardnote ist ein Sample, unterlegt sind stark verfremdete Musikschnipsel von Animal collectif und Cage interludes, sowie selbstaufgenommene Präparationssachen. Im Laufe ihrer Arbeit kam Sarah Nemtsov der Gedanke, dass jede Taste ein Wesen ist. Deshalb fügte sie jedem Sampler noch ein Bild hinzu. Die Musiker schickten der Komponistin Fotos, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Deshalb ist auch die ungewöhnliche Zusammenstellung von Naturbildern, Porträts und einem Stadtplan entstanden. Außerdem sind Gemälde von der Mutter der Komponistin, Elisabeth Naomi Reuter zu sehen. Der Mensch steht im Mittelpunkt ihrer Werke, ein besonderes Augenmerk liegt auf seinem Blick.
Drei Leinwände, Fotos, Gemälde, Elektronik: Eigentlich sei an ihrem Stück „alles zu viel“, doch für Sarah Nemtsov ist das ein „Zeichen für die Wirklichkeit“ und spiegelt die vielen beunruhigenden Nachrichten wider, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden.
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