Von außen sieht alles aus wie immer. Normalerweise füllt sich das Gelände um das ehemalige Heizkraftwerk unweit des Ostbahnhofs erst später mit Jugendlichen, die in den berüchtigten Techno-Club wollen. Heute jedoch findet hier der Prolog zu Ultraschall Berlin statt. Nachdem ich an den gewohnt kritischen Türstehern vorbeigekommen bin, tauche ich ein in die dunkle Halle, deren kalte Wände punktuell in atmosphärischem Blau angeleuchtet sind. Die Mischung aus Alkohol und Rauch liegt in einem derartigen Raum wie selbstverständlich in der Luft. Während ich durch den noch mäßig gefüllten Saal schlendere, beobachte ich das Publikum, das im Gegensatz zu der hier sonst laut-wilden Partymasse steht. Zwar sieht man auch einige dieser Stammbesucher, doch streut sich das Alter ansonsten durch alle Schichten. Während noch die Technik aufgebaut wird, warte ich gespannt auf den Beginn.
Die Elektronikkünstler Gilles Aubry und Robert Millis stehen sich in der Mitte des Raumes gegenüber; einer nur mit Technik ausgestattet, der andere zusätzlich mit Plattenspielern. Nachdem die ersten Töne erklungen sind, suchen sich einige Zuhörer mit offenem Mund einen geeigneten Standort, um die Herkunft der fremdartigen Töne besser nachvollziehen zu können. Andere bleiben skeptisch stehen und legen die Stirn in Falten. In der Uraufführung von Jewel of the ear vermischt sich die Harmonie traditioneller Musik mit Aufnahmen von hinduistischen Bestattungsritualen. Selbst wenn dies teilweise unpassend klingt, schafft die Musik eine tranceartige Stimmung, die durch die Location einmalig unterstützt wird. Über allem liegt das typische Rauschen, Knistern und Knacken der Schellackplatten.
In der Uraufführung von Tarek Atouis’ The Mirror Session sägt dieser mit einem schleifmaschinenartigen Gerät über ein vorsintflutlich anmutendes Instrument mit Saiten. Durch die elektronische Modifizierung entstehen hohe Liegetöne, die sich wabernd dahinziehen, für mich aber wenig Abwechslung und erst recht keinen Spannungsverlauf darstellen. Ich hätte das Instrument aus dem Musikinstrumentenmuseum lieber einmal in seiner ursprünglichen Form gehört.
Zum Schluss des 1.000.052sten Art’s Birthday 2015, den der Fluxuskünstler Robert Filiou vor 52 Jahren festlegte und dessen Jährung heute europaweit mit Konzerten gefeiert wird, steht noch ein ungewöhnliches Instrument auf dem Programm. Die Töne des von Hayden Chisholm gespielten Dudelsacks werde mit der Live-Elektronik von Marcus Schmickler in unermessliche Tiefen und Lautstärken gezogen. Während bei lauter Popmusik immer noch genug Melodie und Rhythmus vorhanden sind, um sie genießen zu können, ist hier eine Grenze überschritten. Die Berghain-Bässe brummen angenehm durch den ganzen Körper, doch die durchlaufenden Borduntöne tun es nicht. Ich bin anschließend froh, durchgehalten zu haben und wünsche mir die sanften Juwelen des Anfangs wieder herbei.
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