Eine anhaltende Spannung knistert im Saal, als fände ein Kampf um Leben und Tod statt. Fremdartige Klänge weben sich durch die Luft wie Spinnenfäden. Ein geladenes Schwirren schwillt bedrohlich an, ebbt jäh ab. Ein Beben lässt den Saal erzittern, Schatten durchschleichen den Raum in dunkelsten Tönen. Den Klängen entspringt eine stille, haltlose Angst.
Die Anspannung der Musiker und die bedrohlichen Klänge scheinen zu korrespondieren. Das Deutsche Symphonie Orchester Berlin (DSO) hat heute seine erste Leseprobe des Stückes “Tenebrae” von Klaus Huber. Nur Passagen werden angespielt, die Probe wird durch Partitur-Irritationen unterbrochen. “Was meint er mit diesem Haken?” Die Geiger beratschlagen die technische Umsetzung der Notation. Sie sind als Grenzgänger gefordert. Ihnen und ihren Instrumenten werden Extreme abverlangt.
“Man muss hinter dem Steg spielen, wodurch eine ungeheure Spannung auf dem Bogen liegt.”, erklärt Ingrid Schliephake, seit 1979 Mitglied der ersten Violinen des DSO. Dieses Stück sei durch extreme Bewegungen und Geräusche, ferner durch Klopfen auf dem Geigenkorpus, Wischen und Hauen mit dem Bogen gekennzeichnet. “Eine Herausforderung in jeder Hinsicht.”, so beschreibt sie das Stück als Stellvertreter der “Neuen Musik” und verweist dabei auf die physische Anstrengung bei lauten Passagen, das Instrumentenspiel und die Begegnung mit dem “disharmonischen Kratzzeug”. Sie betont, dass es einer Umstellung und eines Einfindens in diese Musik bedarf. Enorme Konzentration sei gefragt, um “Tenebrae” einzustudieren.
Klaus Huber offenbart mit seiner Komposition Einblicke in eine chaotische Welt an der Peripherie zur Katastrophe, wie er sie vielleicht in den Jahren des Kalten Krieges 1967 vorfand. Seine Finsternis zeichnet dabei einen Raum der Unsicherheit mit neuen musikalischen Mitteln. Sie könnte jedoch zugleich eine Blindheit, der es zu entrinnen gilt, und ein Archiv der Hoffnung sein. Denn wo viel Schatten ist, ist auch viel Licht. So wie auch das “Neue” zugleich reizvoll und bedrohlich ist. Und ihre Musik im Spannungsverhältnis entsteht: zwischen “überraschend und ermüdend”, wie es Ingrid Schliephake beschreibt, Konventionen und Stilbrüchen, Finsternis und Licht. Das Publikum von Ultraschall Berlin 2014 darf im wahrsten Sinne des Wortes gespannt sein!
Johanna Neuffer, 20
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.