Der Dirigent Wolfgang Lischke ist sofort einverstanden, mit mir zu reden. Er dirigiert im Ultraschall Festival das Deutsche Symphonie-Orchester und spielt auch Klavier. Er leitet das Orchester schon zum dritten Mal.
Meine erste Frage an ihn ist, was ist für ihn Neue Musik ist. Er antwortet mir, dass Neue Musik eine sehr lange Geschichte hat, sie ist um 1910 entstanden und ist heute immer noch da. Es ist eine Musik, in der die Komponisten immer neue Spieltechniken suchen.
Als ich Tenebrae höre, denke ich an mehrere kleine Szenen, als ob es ein Film war. Es hätte ein Horrorfilm sein können. Wie der Dirigent mir erklärt, ist am Anfang die Ruhe noch da und dann, Ton für Ton, erhöht sich der Druck, die Lautstärke auch, und am Ende hat man den Eindruck, dass alles explodiert. Nur Wolfgang Lischke bleibt da, konstant, die Hände in den Luft, er dirigiert den Film. Ein anderes Bild ist mir auch eingefallen, als ich die Musik hörte. Ein Zug kommt, du siehst ihn nicht, aber du hörst ihn. Er kommt näher und näher, lauter und lauter, schneller und schneller, und am Ende ist er da, ohne, dass du es bemerkt hast. Und als er da ist, hat man den Eindruck, dass er nicht weiter fährt, er ist einfach da, in der Luft. Und Wolfgang Lischke ist der Zugführer, er entscheidet, wann alles wieder still sein muss.
Natürlich muss er einer Partitur folgen, wie er mir erklärt. Die Partitur hat immer Recht. Und auch wenn alles nicht eindeutig darauf steht, probiert Herr Lischke, wie man die Meinung des Komponisten und die Gefühle die entstehen sollen, am besten ausdrücken kann. Aber natürlich hat er auch selbst eine Meinung dazu, denn schließlich muss er die Partitur ja interpretieren. Was er in einem Konzert erreichen möchte, ist ein Gefühl, das er, die Musiker und das Publikum zusammen fühlen. Er möchte, dass die musikalische Idee bestmöglich ausgedrückt wird.
All das zu schaffen ist viel Arbeit, Wolfgang Lischke kennt die Partitur erst seit vier Tagen, denn er ist als Leiter des Eröffnungskonzertes von Ultraschall Berlin eingesprungen. Er lädt mich auf die Bühne ein, um seine Partitur anzusehen. Sie ist riesig, viel größer als eine einfache A4 Partitur. Sehr wenige Noten sind aufgeschrieben, alles ist mit Text beschrieben, viel ist zu lesen. Während der Probe muss er den Musikern schwierige Stellen erklären oder er muss korrigieren, zum Beispiel an welchen Stellen es leiser sein soll oder im Gegenteil lauter. Was er mir sehr deutlich macht, ist, dass jedes Stück anders ist, und das gilt für jede Musik, auch für die klassische. Ich frage ihn noch, welche Gefühle er hat, wenn er so ein Orchester dirigiert. Seine Antwort ist: “viele”. Bei diesem Stück fühlt er zum Beispiel diese Ruhe am Anfang und wie nach und nach ein Sturm aufzieht.
Léa Lötscher, 16

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